Skip to main content

Deutsch-Französische Gesellschaft Bonn-Rhein/Sieg auf Reisen

Ein Wochenende in Mainz 6.-7. November 2021

Nach über zwei Jahren Coronasperre konnten wir endlich wieder gemeinsam reisen, wenn auch nur in sehr bescheidenem Rahmen. Das Ziel? Mainz. Langweilige Provinz? Keineswegs.

Mogontiacum- Mayence- Mainz- ist eine Stadt mit einer hoch interessanten Geschichte von 2000 Jahren. Wir mussten uns in den eineinhalb Tagen mit einer Art Schnupperkurs begnügen.

Am Samstag, dem 6.11. trafen wir uns (15 Personen) nach individueller Anreise um 11.30 in unserem Hotel, dem Erbacher Hof, einst Stadthof des Zisterzienserklosters Eberbach. Das Wetter war gut, ebenso die Stimmung. Wir machten uns auf den Weg in die nahe gelegene Augustinerstraße mit ihren prächtigen Barockfassaden. Die Straße, deren Geschichte bis ins 16. Jahrhundert reicht, blieb im Krieg unversehrt, ebenso wie die prunkvolle Augustinerkirche in strahlend farbigem Rokoko. Im Augustinerkeller hatten wir Plätze reserviert und konnten bequem an zwei großen Tischen für unser leibliches Wohl sorgen.

Gestärkt liefen wir über den Kirschgarten mit seinen Fachwerkhäusern aus dem 15. Jahrhundert hinauf zur Stefanskirche, vorbei an der Edelstahlskulptur des Künstlers Albert Sous aus dem seit Martin Schulz nicht unbekanntem Würselen. Die Gruppe reagierte mit Heiterkeit. Die Skulptur stellt den Schutzpatron der Stadt Mainz dar: St Martin. Nach ihm ist auch der Mainzer Dom benannt. In der Stefanskirche beeindruckten uns die blauen Kirchenfenster von Chagall und Charles Marq, der das Werk nach Chagalls Tod weiterführte, schlichter und mit weniger differenzierten Blautönen. Der Kreuzgang von 1499 lud zum Innehalten und zur Besinnung ein.

Der Abschluss unserer Besichtigungstour führte uns in einem Riesensprung vom Mittelalter zurück in die antiken Anfänge von Mainz: Mogontiacum. In der Römerpassage, einem Einkaufszentrum mitten in der Stadt, befinden sich unterirdisch die Reste eines Tempels, der der ägyptischen Göttin Isis und der altrömischen Magna Mater gewidmet war. Unter einem Sternenhimmel aus dem 1. Jahrhundert bestaunt man Votivtafeln und Opfergaben der multikulturellen Bevölkerung von Mogontiacum.

Nach so vielen verschiedenen Eindrücken entspannten wir uns abends in geselliger Runde im Weinhaus Wilhelmi, das mit 140 Gästen zwar fröhliche Stimmung vermittelte, aber keinen Platz bot für die kleinen geplanten Beiträge zu dem Thema „Mainzer Republik“. Zurück im Hotel bekamen wir einen Raum nur für uns,  und Detlef Puhl gab uns dort einen  Überblick über die wichtigsten Ereignisse in Mainz 1792/93. Nach der Eroberung der Stadt durch französische Truppen im Oktober 1792 unter General Custine strebte eine Gruppe von Mainzer Intellektuellen, die sich für die Ideale der französischen Revolution begeisterten, eine Republik nach französischem Vorbild an, sowie den Anschluss an Frankreich. Unter den Mainzer Jakobinern war auch der Gelehrte Georg Forster. Die erste Republik auf deutschem Boden existierte jedoch nur vier Monate. Am 23. Juli 1793 kapitulierte Mainz vor den Österreichern und Preußen, die die Stadt erfolgreich belagert hatten. Detlef Puhls sehr informative Ausführungen wurden ergänzt durch kurze Lesungen von Hildegard Wöller und Jutta Menzel aus Briefen von Goethe, der das Kriegsgeschehen vom Lager der alliierten Truppen aus beobachtete. Peter Andersch las dazu mit ansteckender  Begeisterung Passagen aus Goethes „Dichtung und Wahrheit.“ Kurz vor Mitternacht gönnten wir uns die wohl verdiente Nachtruhe.

Nach einem opulenten Frühstück am Sonntagmorgen liefen wir zum Kurfürstlichen Schloss, wo uns eine Stadtführung zum Thema „Mayence et la France“ erwartete. Obwohl wir über die République de Mayence  schon gut informiert waren, erfuhren wir doch zusätzlich Etliches über die Franzosenzeit von 1797 bis 1813. Mainz wurde Hauptstadt des französischen Departements Donnersberg (Mont Tonnerre) und die wichtigste französische Festung am Rhein. In dem gegenüber dem Schloss gelegenen Deutschhaus (heute Landtag) wohnte Napoleon, wenn er in Mainz war. Mainz war für den Kaiser „une bonne place de guerre.“Aus der Residenz- und Bischofsstadt war eine Militärstadt geworden. Eine Katastrophe für Mainz war die Typhusepidemie, die 1813 durch die flüchtenden Soldaten der Grande Armée eingeschleppt wurde. Die Stadt verlor ein Zehntel ihrer Einwohner.

Unsere sehr engagierte Führerin, der wir gerne zuhörten trotz eines eisigen Windes (wohl dem, der eine Mütze hatte!), führte uns dann zum Liebfrauenplatz, wo die sogenannte Nagelsäule an die Not der Mainzer während des 1. Weltkriegs erinnert. Nach dem Krieg  wurde Mainz wieder von Frankreich besetzt (1918-1930), Die Franzosen versuchten, der deutschen Bevölkerung ihre Kultur und Sprache näher zu bringen mit einer „pénétration pacifique“, die jedoch nicht immer den gewünschten Erfolg hatte. Nach dem 2. Weltkrieg erlebte Mainz erneut (1945-55) eine französische Besatzung. Jedoch bereits im Oktober 1945 verkündete de Gaulle bei seinem Besuch: „Ich komme als Freund und Nachbar, ja als Europäer nach Mainz.“ Es folgte in den fünfziger Jahren die deutsch-französische Aussöhnung. Mainz und Dijon wurden 1958 Partnerstädte. Die Führung ging weiter über den schon von Napoleon geplanten Gutenbergplatz und endete am Schillerplatz mit dem skurrilen Fastnachtsbrunnen.

Etwas durchgefroren freuten wir uns auf einen mittäglichen Imbiss im Café Extrablatt, wo man für uns Tische reserviert hatte. Nach dem Essen besuchten wir noch das Gutenberg Museum, das Henne Gensfleisch, alias Gutenberg, dem berühmtesten Sohn der Stadt, Erfinder der Buchdruckerkunst, gewidmet ist. Nach der intensiven Stadtführung war es durchaus angenehm, das Museum individuell zu erkunden. Auch den nahe gelegenen Dom St. Martin, der wie die Stephanskirche auf die Initiative des Erzbischofs Willigis  zurückgeht, besichtigten wir jeder für sich, da es zur Zeit wegen Corona keine Führungen  gibt.

Voller neuer Eindrücke und beschwingt durch die anregenden Gespräche innerhalb der Gruppe fuhren wir gegen 17 Uhr nach Bonn zurück. Dank an die kooperative und gut gelaunte Gruppe.

Frei nach Henri IV möchte ich sagen: Mayence vaut bien une visite.

Jutta Menzel