1914 – 2014 - Fahrt zu den Gedenkstätten des Ersten Weltkriegs im Elsass

10. und 11. Juli 2014, Dr. Ochs

Am 10. und 11. Juli 2014 unternahm die Deutsch – Französische Gesellschaft (DFG) eine Exkursion zu den Gedenkstätten des Ersten Weltkriegs im Elsass. An-hand von Vorträgen, unter Anderem über neu erschienene Literatur zum Ersten Weltkrieg, widmete sie sich dabei dem Thema Erinnerungskultur des Ersten Welt-kriegs. Die DFG beabsichtigt, diese Reise als Projekt auf dem 59. Jahreskongress der VDFG/FAFA in Dijon (10. – 12 Oktober 2014) vorstellen.

 

Donnerstag, 10. Juli 2014

I) Fahrt zum Château Klingenthal

Am Morgen des 10.07.2014 brach die DFG in Bad Godesberg mit dem Bus zu ih-rem ersten Etappenziel Straßburg auf. Vorbei ging es unter Anderem an der Ni-belungen- und Lutherstadt Worms mit ihrem romanischen Kaiserdom, an Neu-stadt an der Weinstraße mit dem Hambacher Schloss, dem Symbol der deut-schen Demokratiebewegung, an der Vaubanschen Festungsstadt Landau sowie an den Städten Wissembourg und Hagenau.

In Straßburg kehrte die DFG in ein typisch elsässisches Restaurant mit dem Namen „L`Amie Schutz“ ein, das sich selbst als „Straßburger Bierstube“ be-zeichnet. Das Restaurant befindet sich im charmanten Stadtviertel “La Petite France“, auch bekannt als Gerberviertel. Dieses Viertel ist von der Ill mit ihren Kanälen durchzogen und wird dominiert von romantischen Gassen mit typi-schem Kopfsteinpflaster und Fachwerkhäusern.

Nach einer mehrgängigen kulinarischen Stärkung bot sich dem einen oder an-deren Teilnehmer bis zur Weiterfahrt nach Klingenthal noch die Gelegenheit, Straßburg zu Fuß zu erkunden.

Am Nachmittag erreichte die Exkursion ihr Ziel Klingenthal, eine Ortschaft in der Nähe von Obernai in den Vogesen. Klingenthal verdankt seinen Namen der Tatsache, dass König Ludwig XV. im Jahr 1730 an dieser Stelle einen Produkti-onsstandort für Blankwaffen, sog. armes blanches, eröffnete. Entlang der Klin-genthal durchfließenden Ehn existierten dort früher diverse Schleifer- und Schmiedewerkstätten und Hammerwerke. Die Kunst und Expertise zur Herstel-lung solcher Waffen wurde aus Solingen importiert, indem Solinger Klingen-handwerker für die Produktion nach Klingenthal angeheuert wurden.

In Klingenthal logierte die DFG im Château Klingenthal. Das Château wurde einst vom Eigentümer einer dort ansässigen Blankwaffenmanufaktur errichtet und in den 1970er Jahren von der Johann-Wolfgang von Goethe - Stiftung mit Sitz in Basel erworben. Diese Stiftung bezweckt die Anregung, Förderung, Un-terstützung, Auszeichnung und Verbreitung von beispielhaften geistig-schöpferischen Arbeiten. Dementsprechend werden im Château Klingenthal häufig Konferenzen, Seminare, Workshops, Arbeitskreise und andere Veranstal-tungen zu diesem Zweck abgehalten.

Das Château ist umgeben von einer parkähnlichen Anlage mit einem Teich, der die Teilnehmer morgens oder nach den Mittags- und Abendmahlzeiten zum kur-zen Verweilen und Lustwandeln einlud. Ins Auge fiel auch das gefällige innere Ambiente des Château, ist es doch mit antikem Mobiliar, Bildern und alten elsäs-sischen Gebrauchsgegenständen eingerichtet. Ein aus dem 17. Jahrhundert stammendes Holztreppenhaus verbindet die beiden oberen Stockwerke des Château mit dem Erdgeschoss.

Da die Präsidentin dieser Stiftung, Frau Prof. Dr. Marie-Paule Stintzi, die DFG dankenswerterweise in das Château eingeladen hatte, waren Kost und Logis für die DFG frei und die Teilnehmer wussten es sehr zu schätzen, vom Château - Personal umfassend verköstigt und betreut zu werden.

II) Vortrag von Herrn Prof. Dr. Daniel Antony

Am Abend versammelte sich die DFG im alten Gewölbekeller des Château zu einem Arbeitskreis, um vor dem Wandbildnis Karls des Großen dem Vortrag von Herrn Prof. Dr. Daniel Antony zur deutschen und französischen Erinnerungs-kultur des Ersten Weltkriegs beizuwohnen und um den Rezensionen zu neue-ren Publikationen zum Ersten Weltkrieg zu lauschen.

Herr Prof. Antony ist Historiker und lehrt als Professor für Geschichte des 16. Jahrhunderts (Renaissance) an der Universität Besançon. In seinem Vortrag schilderte er der DFG die Erfahrungen und Wahrnehmungen, die seine Vorfah-ren im Ersten Weltkrieg gesammelt und an ihre Nachkommen weitergegeben haben. Anhand eines Kriegs - Souvenirs, einer alten gravierten und in Fami-lienbesitz befindlichen Granathülse aus dem Ersten Weltkrieg, demonstrierte er, wie viele französische Familien ihre persönlichen Erinnerungen an den „Großen Krieg“ aufrechterhalten. Herr Prof. Antony beabsichtigt, seine Familienerin-nerungen und -erfahrungen in einem Roman niederzulegen.

Im weiteren Verlauf des Vortrags erläuterte Herr Prof. Antony die Begriffe Natio-nalismus und Patriotismus und wie die Erinnerungskultur in der Öffentlichkeit in Frankreich wahrgenommen und staatlich ausgelebt wird. Er berichtete weiterhin über die Schwierigkeiten, jüngeren Generationen die Thematik des Ersten Welt-kriegs zu vermitteln. Darüber hinaus informierte er darüber, dass die aktuelle Er-innerungskultur vom Wandel der französischen Gesellschaft stark beeinflusst wird und gegenwärtig von sozialen Themen wie z.B. Immigration und Integration überlagert bzw. stellenweise verdrängt wird. Diese Faktoren und die Tatsache, dass der Ausbruch des Ersten Weltkriegs bereits 100 Jahre zurück liegt, könnten dazu führen, dass diese Materie zukünftig weniger beachtet und weniger in das gesellschaftliche und politische Leben integriert wird.

Abgerundet wurde der Vortrag mit Erkenntnissen über die Bedeutung der Erin-nerungskultur für die deutsch – französische Freundschaft und Zusammenar-beit und für das vereinte Europa, dessen Prinzipien bewahrt werden müssen. Es bleibe abzuwarten, wie sich nationalistische Tendenzen, die bei der letzten Eu-ropawahl in einigen Mitgliedstaaten einschließlich Frankreich zu beobachten waren, auf die Erinnerungskultur und Europa auswirken.

III) Buchrezension

Im Anschluss wurden jüngere Publikationen zum Ersten Weltkrieg vorgestellt. Diese Rezensionen wurden von Exkursionsteilnehmer erbracht, die sich hierfür im Vorfeld der Reise als Referenten zur Verfügung gestellt haben.

a. Der Große Krieg (Herfried Münkler); Referent: Herr Dr. Hermann Schunk

Der Berliner Politikwissenschaftler Dr. Hermann Münkler schrieb eine Gesamt-geschichte über den Ersten Weltkrieg und erklärt darin, warum dieser Krieg Eu-ropa bis heute prägt.

Nach kurzer Vorstellung von Münklers Vita, Vorgehensweise, Interessen-schwerpunkten am Ersten Weltkrieg und den unterschiedlichen Erinnerungs-kulturen in Europa widmet sich Herr Dr. Schunk folgenden Aspekten:

• den politischen und territorialen Ausgangslagen,

• den Ursachen bzw. Auslösern des Krieges,

• dem deutschen Militarismus,

• der Suche nach der Sinnhaftigkeit des Krieges und den Kriegsziel- und Feinddebatten,

• den Kriegsfolgen, politischen, sozialen und kulturellen Errungenschaf-ten und ihrer Bedeutung für Europa und die deutsch-französische Ach-se,

• den verpassten Gelegenheiten für Friedensinitiativen,

• den Lebenslügen über Beginn und Beendigung des Krieges und über die Machtergreifung Hitlers als Kriegsfolge,

• der Schuldfrage, wobei er auf die Kriegsformeln bekannter deutscher Historiker eingeht.

Von Ausführungen zu militärischen Strategien der Kriegsparteien, dem Einsatz neuer Waffen und zu Schlachtverläufen wurde abgesehen.

b. Die Schlafwandler (Christopher Clark), Referentin: Frau Jutta Menzel

Dieses Buch des australischen Historikers Christopher Clark an der Universität Cambridge beschäftigt sich mit den Ereignissen, die zur Julikrise von 1914 und schließlich zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs führten.

Nach Ausführungen zum Autor, zu den positiven und kritischen Rezeptionen (Serbien) und zur Gliederung des Buches stellt Frau Menzel die Inhalte der drei Teile des Werkes vor:

• Teil 1 beschreibt die lokalen Ereignisse und Konstellationen auf dem Balkan bis zum Attentat von Sarajevo.

• Teil 2 widmet sich der Innen-, Außen-, Sicherheits- und Bündnispolitik der europäischen Großmächte von 1887 bis 1914. Insbesondere wird die Bildung der zwei Bündnisblöcke in Europa analysiert.

• Teil 3 beginnt ausführlich mit dem Attentat von Sarajevo und behandelt anschließend die Ereignisse der Julikrise 1914 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs.

Nach Bewertung und Analyse der Schuldfrage unter Einbeziehung der Fi-scherthese von Deutschlands Griff nach der Weltmacht und der Komplexität der Krise schließt die Referentin ihren Vortrag mit einer eigenen Schlussfolgerung ab.

c. La bataille d‘ Occident (Eric Vuillard), Referentin: Frau Thérèse Pacqueteau

In diesem Werk berichtet der Schriftsteller Eric Vuillard aus Sicht eines fiktiv be-troffenen Erzählers über den Ersten Weltkrieg. Der Krieg wird von diesem histo-risch und politisch aus eigenem Blickwinkel interpretiert und bewertet, wobei de-taillierte und präzise Erfahrungen und Eindrücke über das Schlachtgeschehen und den Einsatz diverser Waffen und ihrer Folgen geschildert und mit Bildmate-rial untermalt werden. Zudem werden politische und militärische Persönlichkei-ten sowie Akteure auf dem Schlachtfeld charakterisiert und ihr Innen- bzw. See-lenleben beschrieben.

Frau Thérèse Pacqueteau tätigt Ausführungen über den Autor und referiert im Anschluss unter Anderem über die Intention des Buches, den Schreibstil des Autors, historische Ereignisse des Ersten Weltkriegs und über Schlachterfah-rungen. Die Vortragsthemen und ihre Feststellungen belegt sie anhand von charakteristischen Textstellen.

d. Ernst Jünger, Dans les tempêtes du siècle (Julien Hervier),

Referent: Herr Herbert D. Jess

Bei diesem Buch handelt es sich um eine Biographie über das Leben von Ernst Jünger. Hervier war ein Freund Jüngers und berichtet in diesem Werk über den Typ und das Leben und Wirken von Ernst Jünger, einschließlich dessen Kriegserfahrungen im Ersten Weltkrieg und seine politischen Engagements.

Nach Informationen zum Autor und dessen Beweggründen zu dem Buch wid-met sich der Vortrag Jüngers Lebensabschnitt „Erster Weltkrieg“. Er beschäftigt sich mit Jüngers Kriegsbegeisterung und seiner heroischen Motivation, als jun-ger Mann in den Krieg zu ziehen, um ein Held zu werden. Zudem berichtet er über Jüngers Einstellung zum ersten Weltkrieg, dessen Kriegserfahrungen, Verwundungen (insgesamt 14 Mal), Desillusionierungen und Auszeichnungen.

Exemplarisch werden dabei auch einschlägige Textstellen zitiert.

IV) Diskussion

Die Vortragsreihe wurde mit einem Gedankenaustausch zum Vortrag von Herrn Prof. Antony und den Buchbesprechungen abgeschlossen. Dabei wurde unter Anderem festgestellt:

• dass alle Werke lesenswert sind, weil sie den ersten Weltkrieg aus unter-schiedlichen Blickwinkeln und mit verschiedenen Ansätzen betrachten und bewerten,

• dass die Erfahrungen aus dem ersten und zweiten Weltkrieg erst den Ka-talysator bildeten, um Institutionen wie die OSCE oder die UN zu kreieren, die effektiv Krisen entschärfen und/oder den Frieden wieder herstellen und überwachen; solche Instrumente waren 1914 nicht existent,

• dass eine der Herausforderungen für die deutsch - französische Freund-schaft und Zusammenarbeit darin besteht, die Erinnerungskultur zu pfle-gen und zu intensivieren; das gilt insbesondere im Hinblick auf jüngere Generationen,

• dass die deutsch – französische Kooperation essentiell ist, um Sicher-heitsrisiken für Europa rechtzeitig zu erkennen und zu eliminieren. Das gilt sowohl für innereuropäische Entwicklungen als auch für solche Er-eignisse, die aus der Peripherie auf Europa einwirken, wie z.B. Terroris-mus oder nationale bzw. ethnische Konflikte wie in der Ukraine.

Freitag, 11. Juli 2014

I) Besichtigung des Klosters auf dem Mont Sainte-Odile

Als Kontrast zu dem Kriegs belastetem Vorabendprogramm besichtigte die DFG zusammen mit Herrn Prof. Antony am Vormittag unter sachkundiger Führung durch Herrn Kanonikus Patrick Koehler die Klosteranlage auf dem Odilienberg (Le Mont Sainte-Odile).

Der Odilienberg liegt in der Nähe der Ortschaften Obernai und Barr am Ostrand der Vogesen. Er ist ungefähr 763 m hoch und trägt auf seiner Spitze eine Klos-teranlage.

Errichtet wurde das Kloster im 7. Jahrhundert von Odilia, einer Tochter des frän-kischen Herzogs Eticho, in der Hohenburg, die ihr Vater ihr zu diesem Zweck geschenkt hat. Die als ehemaliges Frauenkloster gewidmete Einrichtung wurde später nach der heiligen Odilia benannt. Diese war Klostergründerin (Äbtissin) und ist als Schutzpatronin des Elsass und des Augenlichts bekannt. Heute be-findet sich dort ein Konvent der Schwestern vom Heiligen Kreuz. Der Odilien-berg ist gegenwärtig der bedeutendste Wallfahrtsort im Elsass. Das Wasser der Quelle auf dem Odilienberg soll Augenleiden heilen.

Von den Aussichtsplattformen und Terrassen der Klosteranlage erhielt die DFG einen Panorama - Blick auf umliegende Burgruinen, Dörfer, Höhenzüge, Ge-birgs- und Waldlandschaften und auf die Rheinebene.

Im Rahmen der Führung berichtete Herr Kanonikus Koehler über die Legende und Vita der heiligen Odilia und er erläuterte die Historie, Funktion und Einrich-tungen des Klosters, des Odilienberges und der ihn umgebenden Heidenmauer und er philosophierte über die Kraft der Lindenbäume auf dem Odilienberg.

Anekdoten und Geschichten über Besuche geistlicher und weltlicher Würden-träger (Papst, französische Präsidenten) sowie Einzelgespräche mit Herrn Ka-nonikus Koehler rundeten die Führung ab und vermittelten den Besuchern ei-nen umfassenden Gesamteindruck über die die Anlage.

Besichtigt wurden unter anderem die Tränen- und Engelskapelle und Kapellen im Inneren des Kreuzgangs. Engels- und Tränenkapelle sind reich verziert mit prächtigen Wand- und Deckenmosaiken mit religiösen und historischen Moti-ven. In der Tränenkapelle befindet sich auf dem Steinboden ein mit einer Metal-leinfassung versehenes Loch. Dieses Loch soll durch die sauren Tränen der heiligen Odilie entstanden sein, die diese dort wegen des Todes ihres Vaters vergoss.

Krönender Abschluss der Führung war ein gemeinsames Vaterunser zusam-men mit Herrn Kanonikus Koehler vor dem steinernen Sarkophag der heiligen Odilia in der Odilienkapelle. Laut Kanonikus Koehler wurden die darin befindli-chen sterblichen Überresten, eine Armreliquie befindet sich in Prag, mittels wis-senschaftlicher Studien zweifelsfrei der heiligen Odilia zugeordnet.

Auf dem Odilienberg wird aber auch an zurückliegende Kriege erinnert (Aus-druck von Erinnerungskultur). So weisen Gedenktafeln an der Rückseite der Tränenkapelle auf die Toten der Kriege von 1648-1949 und an die Zwangsrekru-tierung von Elsässern und Lothringern durch die deutsche Wehrmacht im Jahre 1942 hin.

Bemerkenswert ist zudem ein neuzeitliches Mosaik in der Engelskapelle, das die Befreiung Frankreichs von der deutschen Besatzung im zweiten Weltkrieg ab-bildet. Zu sehen ist ein Dragoner mit Lanze auf seinem aufsteigenden Ross. Die Lanze stößt er in den Rachen eines grünen Drachens, der Nazideutschland symbolisiert.

Unterstützt wird der Dragoner von Marine, Luftwaffe und der Wider-standsbewegung, indiziert durch ein Segelschiff, Vögel und Muscheln. Wäh-rend der westliche Teil Frankreichs (Hintergrund: Mont Saint Michelle) schon be-freit ist, ist der östliche Teil (Hintergrund: Odilienberg) noch von Dunkelheit um-geben. Unterhalb der Lanze ist ein kleines Männchen zu erkennen, das Adolf Hitler darstellt. Die sich vor, auf und hinter dem Drachen befindlichen Eulen re-präsentieren Hitlers Führungskader.

Zur Würdigung der sachkompetenten Führung begleitete Herr Kanonikus Koeh-ler die DFG, Herrn Prof. Antony und Frau Prof. Stintzi zum gemeinsamen Mittag-essen ins Château Klingenthal, wo er Speisen und Trank mit einem gemeinsa-men Tischgebet segnete.

Zum Dank für die gute Betreuung auf dem Odilienberg hat sich die DFG dafür entschieden, eine kleine Spende an den Konvent für die Instandhaltung der Klosteranlage zu entrichten.

II) Besichtigung des Musée Mémorial Le Linge 1914 1918

Nach dem gemeinsamen Mittagessen und der Verabschiedung der Herren Prof. Antony, Kanonikus Koehler und der Frau Prof. Stintzi verließ die DFG Château Klingenthal und begab sich zu ihrem letzten Reiseziel in Sachen Erinnerungs-kultur, zu dem Musée Mémorial Le Linge 1914 1918.

Die Fahrt führte am Ostrand der Vogesen entlang; dabei wurden das Château du Haut-Koenigsbourg (Hoch-Königsburg) oberhalb von Orschwiller und andere Burgen passiert und diverse pittoreske Dörfer der elsässischen Weinstraße durchfahren.

Der Lingenkopf (Collet du Linge) ist ein 987 m hoch gelegener Pass in den Vo-gesen. Er war ein Schlachtfeld im Ersten Weltkrieg und im Jahr 1915 Schauplatz von besonders schweren Kampfhandlungen zwischen Deutschen und Franzo-sen mit vielen Gefallenen. Anschließend erstarkte dort die Front in einen bis Kriegsende dauernden Stellungskrieg.

Das Museum und das umgebende Freilichtmuseum vermitteln den Besuchern einen realen Eindruck in das damalige Kriegsgeschehen.

Im Museum der Gedenkstätte sind unter Anderem die Utensilien von französi-schen und deutschen Soldaten zu sehen, die bei örtlichen Ausgrabungen ge-funden wurden, wie z.B. Waffen, Munition, Ausrüstungs- und persönliche Ge-genstände. Weiterhin werden die Uniformen der deutschen und französischen Soldaten ausgestellt (meist Gebirgsjäger), die Art und Handhabung ihrer Waffen erklärt (Gewehre, Pistolen, Granaten, Minen, Kanonen, C-Waffen, Flammenwer-fer), und anhand von diversem Kartenmaterial und Modellen werden Strategien, Kriegs- und Frontverläufe, Schlachtpläne und Unterstände visualisiert. Zahlrei-che Abbildungen, Textbeschreibungen und Videofilme informieren außerdem über die in die Kampfhandlungen involvierten militärischen Akteure, über klima-tische Bedingungen, eingesetzte Baumaterialien, Nutztiere (auch Hunde), Nachschubwege und Transportmittel – unter anderem gab es Kriegsseilbahnen.

Das Freilichtmuseum zeigt die Infrastruktur des deutschen Verteidigungssys-tems und die Überreste der französischen Schützengräben. Während die deut-schen Linien mit Beton befestigt und logistisch gut angebunden gewesen sind, waren die französischen Linien in der Regel lediglich in den Erdboden einge-graben. Stellenweise befanden sich die erste deutsche und die erste französi-sche Frontlinie nur wenige Meter voneinander entfernt, so dass die Kriegsfüh-rung und ihre Sinnhaftigkeit etwas rätselhaft bleiben. Weiße Kreuze mit Namen erinnern an Gefallene, die dort in der neueren Zeit gefunden und deren Über-reste geborgen wurden. Betretungsverbote indizieren, dass sich im mit Heide-kraut und Gestrüpp überwachsenen Erdreich noch immer gefährliche, explosive Hinterlassenschaften des Ersten Weltkriegs befinden.

Insgesamt bietet die Anlage dem Betrachter mit ihren Bunkern, Schützengräben, Stacheldrahtverhauen und Granattrichtern viele Möglichkeiten, über die Ereig-nisse am Lingenkopf nachzudenken.

Nach der Besichtigung fuhr die DFG zurück nach Bonn, wo sie wohl behalten am späten Abend des 11. Juli 2014 in Bad Godesberg eintraf.

 

gez. Dr. Ochs

Vortrag von Professor Dr. Ludger Kühnhardt über "Europa nach der Wahl"

Lag es am Thema oder am Referenten - oder an beidem? Jedenfalls war das Interesse am Vortrag von Prof. Dr. Kühnhardt über das Thema "Europa nach der Wahl", zu dem die DFG zusammen mit dem Collegium Humanum und der Europa-Union eingeladen hatte, so groß, dass der Saal der Bonner Vertretung der Europäischen Kommission dem Ansturm der Besucher kaum gewachsen war. Der Leiter der Bonner EU-Vertretung, Stephan Koppelberg, freute sich über die rege Teilnahme so sehr, dass er spontan die Mitgliedschaft in der DFG beantragte.

Prof. Künhardt, der seit 1997 Direktor im Zentrum für europäische Integration in Bonn ist, gab eine kenntnisreiche und fundierte Analyse der Wahl zum Europäischen Parlament vom 25. Mai 2014. Die Ergebnisse dieser Wahl teilte er in vier Gruppen ein: (a) Zu erwartende Ergebnisse, die keine Überraschung bieten, (b) neue Phänomene, durch die sich die Wahl 2014 von den vorherigen unterscheidet, (c) unbekannte Ergebnisse, mit denen man aber rechnete und (d) unbekannte und nicht erwartete Folgen.

(a) Zu den zu erwartenden Ergebnissen zählte er die geringe Wahlbeteiligung, die bei Europawahlen inzwischen schon üblich ist. Prof. Kühnhardt führt dies darauf zurück, dass es bei der Wahl nicht (oder nur in geringem Umfang) um spezifisch europäische Themen ging, die die Wähler hätten motivieren und mobilisieren können. Außerdem sind die politischen Auseinandersetzungen im EP nicht spektakulär, weil Lösungen fast immer auf der Basis großer Koalitionen gefunden werden.

(b) Neu an dem Wahlkampf war, dass er mehr Aufmerksamkeit in den öffentlichen Medien erfahren hat als früher. Dies rührt daher, dass mit der Wahl der Abgeordneten mittelbar auch die Entscheidung über den künftigen Kommissionspräsidenten verknüpft und dadurch der Wahlkampf stärker politisiert wurde.

(c) Eine zu erwartende Unbekannte war das Abschneiden der Europaskeptiker und Europagegner. Diese haben zahlenmäßig zugenommen, stellen aber keine homogene Gruppe dar, die bedeutendes politisches Gewicht erlangen könnte. Etwa 50 Abgeordnete aus diesem Lager sind fraktionslos und damit als Einzelkämpfer nur beschränkt aktionsfähig, während sich andere einer größeren Gruppe angeschlossen haben, die sie weitgehend neutralisiert. Hinzu kommt, dass für viele Skeptiker und Gegner ihre jeweils nationale Politik letztlich wichtiger ist als die Europapolitik, so dass sich einige gleich aus dem EP zurückgezogen haben, um an ihre nationale Basis zurückzukehren.

(d) Neu und nicht vorhersehbar war und ist, dass die Europa-Wahl deutlich gemacht hat, dass durch Europa heute ein tiefer Riss geht: Einerseits die rechtlich verfasste, durch die Wahl demokratisch legitimierte und auf dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit beruhende Union, auf der anderen Seite ein Block, der von hegemonistischem Streben und der Geringschätzung völkerrechtlicher Regeln geprägt ist.

An den brillanten Vortrag schloss sich eine lebhafte Diskussion an. Im Ergebnis wurde den Zuhörern der Eindruck vermittelt, dass die positiven Aspekte der Europawahl die negativen deutlich überwiegen, so dass die Freunde des europäischen Gedankens, die vor dem Hintergrund der öffentlichen Debatte verunsichert und verzagt waren, durch diesen Vortrag wieder einige Zuversicht hinsichtlich der Zukunft Europas gewinnen konnten.

gez. W.Sipp